„Jetzt bist du nur noch ein Beilagenkoch“

Interview Teil 2 mit Pascal Haag, veganer Koch und „Leaf-to-Root“-Profi
Pascal Haag
Pascal Haag Koch, Kochbuchautor & Rezeptentwickler (Fotocredit © Jürg Waldmeier)

In Teil 1 unseres Interviews mit unserem Trainer Pascal Haag drehte sich alles rund um das Thema Gewürze und seinen passend dazu neu erschienenen Online-Kurs die Spices Masterclass Vol.1. Da Pascal nicht nur veganer Koch, sondern auch Kochbuchautor des preisgekrönten Buches „Leaf to root“ ist, kennt er sich mit der Verwendung von Gemüse von der Wurzel bis zum Blatt richtig gut aus. Bis er zum bekennenden „Pflanzenfresser“ wurde, war es allerdings ein längerer Prozess.

Du hast von 2007-2014 für das Hiltl, das älteste vegetarische Restaurant der Welt, als Koch und Rezeptentwickler gearbeitet. Wie kam es dazu? Hast du dich damals selbst schon vegetarisch ernährt?

Pascal: „Auch wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht vegetarisch ernährt habe, ist mir aufgefallen, dass in den meisten Restaurants, in den ich arbeitete, der Gemüseteller und die Spaghetti Napoli die einzigen fleischlosen Gerichte waren, die den Gästen angeboten wurden. Ich hatte bereits damals das Gefühl, dass die fleischlose Küche in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen würde und ich mich deshalb in diesem Bereich weiterbilden möchte. Daher entschied ich mich im Jahr 2007 dazu, mich intensiver mit vegetarischer Küche zu beschäftigen, und bewarb mich daraufhin im Restaurant Hiltl.

Ursprünglich plante ich, ein Jahr dort zu arbeiten und Ideen zu sammeln, um dann weiterzuziehen. Doch manchmal kommt es anders als geplant. Ich blieb insgesamt sieben Jahre im Hiltl. Obwohl ich als Koch begonnen hatte, durfte ich sehr schnell Verantwortung übernehmen. Ich half beim Aufbau des Kochateliers und leitete Kochkurse. Außerdem war ich hauptsächlich als Rezeptentwickler tätig.“

Wie kann man sich deinen damaligen Arbeitsalltag speziell als Rezeptenwickler vorstellen?

Pascal: „Diese Stelle gab es in dieser Form zuvor noch nicht, und ich hatte sie damals neu aufgebaut. Es gab keinen einheitlichen Arbeitsalltag, da jeder Arbeitstag anders war. Eine meiner Hauptaufgaben bestand darin, neue Rezepte zu entwickeln.

In unserem monatlichen Food Panel präsentierte ich meine Kreationen dem Geschäftsführer, dem Food & Beverage Team und der Küchenleitung. Gemeinsam entschieden wir, welche Gerichte gut genug waren, um umgesetzt zu werden, welche noch überarbeitet werden mussten und welche verworfen wurden. Anschliessend führte ich den „Feldtest“ durch und kochte die Gerichte in grossen Mengen für das Restaurant, um zu sehen, welche Handgriffe noch vereinfacht werden mussten, damit die Umsetzung reibungslos funktionierte. Bei diesen Tests erhielt ich auch direktes Feedback von den Mitarbeiter*innen und den Gästen.

Zu meinen Hauptaufgaben gehörte auch die Überarbeitung bestehender Gerichte, zum Beispiel die Veganisierung von Klassikern sowie die Mitarbeit an Kochbüchern. All meine Ideen für die neuen Gerichte entstanden während meinen Reisen und in vielen kreativen Prozessen. Im Laufe der Jahre entstanden neben zahlreichen indischen, thailändischen und orientalischen Köstlichkeiten auch (Fleisch-) Klassiker der europäischen Küche wie meine wohl bekannteste Kreation, das vegane Tatar. Selbst renommierten Spitzenköchen gelang es nicht, dieses Gericht als fleischlose Variante zu erkennen.

Nach deiner Zeit im Hiltl hast du eine Auszeit genommen. Du hast viel von der Welt gesehen. Wohin gingen deine Reisen und was konntest du alles für dich mitnehmen?

Pascal: „Nachdem ich über die Jahre viel gearbeitet hatte, ging es mir vor allem darum, eine Pause einzulegen und darüber nachzudenken, wie es beruflich weitergehen sollte. Ich verbindete diesen Prozess mit verschiedenen Reisen. Zum Beispiel reiste ich nach Kalifornien, um mich intensiver mit der veganen Küche auseinanderzusetzen. Und ich reiste nach Südostasien. Während dieser Reise blieb ich zum Beispiel ein paar Tage in Kambodscha und gab dort vegetarische Kochkurse an einer Hotelfachschule.

Pascal Haag in Kambodscha
Pascal Haag in einer kambodschanischen Kochschule

Nach dieser Auszeit war für mich klar, dass ich weiterhin in diesem Bereich arbeiten möchte. Zu dieser Zeit gab es in Zürich jedoch nicht viele vegetarische Restaurants, und ich hatte auch keine Absicht, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Dennoch entschied ich mich dafür, selbstständig zu werden und Gastronomiebetriebe dabei zu unterstützen, mehr fleischlose Gerichte auf ihre Speisekarten zu setzen.“

Wann bist du schließlich vegan geworden und was hat dich dazu bewegt? Gab es die eine große Erkenntnis oder war es ein Prozess?

Pascal: „Bewegt haben mich ganz klar die ethischen und moralischen Aspekte. Aber trotzdem war es ein sehr langer Prozess, allein schon der Schritt zum Vegetarier.
Als ich im Hiltl arbeitete, aß ich dort sowieso nur vegetarisch und auch zuhause hatte ich kein Fleisch mehr gekocht. Dennoch, gerade wenn ich mit Freunden unterwegs war, schaffte ich es nicht authentisch zu sein und das zu tun, was ich wirklich fühlte. Ich hatte „Angst“ vor den Sprüchen, weil es unter meinen Kochkollegen schon damals hieß: „Jetzt bist du nur noch ein Beilagenkoch.“ Eine gute Freundin empfahl mir damals das Buch „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer. Ich las dieses Buch im Jahr 2011 auf einer Reise und aß danach nie wieder ein Stück Hühnchen, bei den anderen Tieren dauerte es noch etwas länger.

Pascal Haag
Pascal auf einem Lebenshof – © Jelena Dukic
Pascal Haag
Zu Besuch bei den Schafen – © Jelena Dukic

Und auch beim Schritt zum Veganismus war es ähnlich. Meine Partnerin und ich aßen zuhause schon lange keine tierischen Produkte mehr, aber trotzdem ging es auch da noch lange Zeit darum, „was denken die anderen“ und „ich möchte nicht auffallen“. Ich erinnere mich noch, wie mir ein Bekannter einmal sagte, dass es vollkommen in Ordnung sei, sich vegetarisch zu ernähren, aber er nichts mehr mit mir zu tun haben wolle, wenn ich Veganer werden würde. Es war damals wirklich absurd, wie negativ besetzt das Wort „vegan“ noch war. Und ich denke, es war wichtig, dass ich meine ersten Schritte in der Selbständigkeit noch vegetarisch gemacht habe. Es wäre damals noch nicht möglich gewesen, meine Projekte vegan umzusetzen. Zum Glück hat sich das mittlerweile geändert, und es spielt für mich auch keine Rolle mehr, was die anderen darüber denken, was ich esse.
Jetzt habe ich jedoch etwas weit ausgeholt. Ich weiss nicht genau, wann ich vollständig vegan wurde, aber das müsste ungefähr im Jahr 2018 oder 2019 gewesen sein.“

Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel – darum geht es in dem vielfach ausgezeichneten Buch „Leaf to root“, für das du die Rezepte entwickelt hast. Auf welche Kreation(en) bist du am meisten stolz und wie bist du dahingekommen?

Pascal: „Genau, bei „Leaf to Root“ geht es um die sogenannten „second cuts“, die es nicht nur beim Fleisch, sondern auch beim Gemüse gibt. Dabei handelt es sich um die Gemüseteile, die bei der Zubereitung des „Filet-Stücks“ oft weggeworfen werden. Das können beispielsweise der Strunk von Brokkoli, die Blätter von Radieschen, das Kraut von Karotten und die Schale von Wassermelonen sein.

Pascal Haag Leaf to root
„Leaf to root“ von Esther Kern, Pascal Haag & Sylvan Müller

Neben 70 Rezepten enthält das Buch auch Reportagen und Interviews mit verschiedenen Protagonisten, die sich schon lange mit diesem Thema auseinandersetzen.

Es gibt nicht das eine bestimmte Rezept, auf das ich besonders stolz bin. Für mich war es vielmehr eine spannende Reise, bei der ich viel Neues gelernt habe, da ich zuvor viele dieser Teile selber einfach wegwarf. Ich habe erfahren, dass viele dieser „second cuts“ eine überraschend gute Geschmacksqualität haben. Dieses Thema passt auch perfekt in unsere Zeit, da die Lebensmittelverschwendung immer mehr als Scheitern der Lebensmittelindustrie und soziales Problem empfunden wird. Und nicht zuletzt spielt auch der finanzielle Anreiz eine Rolle: Wenn ich möglichst viel vom Gemüse verwende, muss ich kein zusätzliches kaufen und kann Geld sparen.

Natürlich werden in diesem Buch auch besonders anspruchsvolle Gemüseteile behandelt. Es ging darum, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, auszuprobieren und zu erkunden, was möglich ist, und herauszufinden, was früher verwendet wurde und wie verschiedene Teile von Gemüse in anderen Ländern und Kulturen genutzt werden. Einige Teile sind einfacher zu finden, andere schwieriger. Zum Beispiel hat nicht jeder Zugang zu Brokkoliblättern. Aber es gibt auch einige Beispiele, welche jede und jeder in den Koch-Alltag integrieren kann. Man kann sich zum Beispiel die Zeit sparen, Wurzelgemüse zu schälen, da das Gemüse mit Schale genauso gut schmeckt.

Oder man kann die Schale auch als Garnitur verwenden. Ein Beispiel aus dem Buch ist das Pastinaken-Rezept. Aus der Pastinake wird ein Püree zubereitet, während die Schale mit Gewürzen, etwas Öl und Ahornsirup im Ofen geröstet wird.

Ein weiteres anschauliches Beispiel, das jeder im Alltag umsetzen kann, sind Radieschen. Die Blätter werden oft weggeworfen, während man extra Blattsalat für einen Salat kauft. Doch wer jemals Radieschenblätter probiert hat, weiß, dass sie mit ihrem sauren und würzig-scharfen Aroma besser schmecken als Rucola oder Kopfsalat. Im Buch gibt es zwei Rezepte für Radieschenblätter: einen Radieschensalat mit karamellisierten Kürbiskernen und Cranberries sowie ein Radieschenblatt-Pesto. Letzteres hat Milchprodukte drin, aber kann einfach veganisiert werden.“

Aus „Leaf to Root“ – Radieschensalat (© Sylvan Müller)
Dass man aus Möhrengrün ein aromatisches Pesto machen kann, hat man schon mal gehört und vielleicht auch selbst ausprobiert. Was aber kann man denn aus Maishaaren, Brokkolistrunk, Frühlingszwiebelwurzeln oder Avocadokernen machen?

Pascal: „Ja, genau. Im Buch gibt es ein paar solcher ungewöhnlichen Zutaten, die ich selbst nicht immer verwende. Ein Beispiel sind die Maishaare, die man in Mehl wenden und dann im Öl frittieren kann. Ich verwende sie für ein Dessert und bestreue sie anschliessend mit Puderzucker.

Dass der Avocadokern essbar ist, habe ich in Kalifornien gesehen. Dort haben ihn einige Leute in ihre Smoothies gemixt. Er hat einen leichten nussigen Geschmack, kann aber auch ziemlich bitter sein.

Der Brokkolistiel ist ebenfalls etwas, das jede und jeder verwenden kann. Er hat ein leichtes Brokkoli- und Spargelaroma. Es ist wichtig, die äussere Schicht zu schälen, da sie sehr holzig ist. Danach kann man den Stiel zum Beispiel in asiatischen Nudel- oder Reisgerichten verwenden. Manchmal gebe ich ihn auch als Einlage in Kartoffelbratlinge.

Und die Würzelchen vom Frühlingszwiebeln haben ebenfalls ein leichtes Zwiebelaroma und können als Garnitur übers Gericht geben werden.“ 

Wie kommt man eigentlich auf die Idee, dass es überhaupt möglich ist, dass man z.B. aus Wassermelonenschale ein Gericht zaubern kann?

Pascal: „Die Journalistin Esther Kern, die die Idee für dieses Buch hatte, hat umfangreiche Recherchen durchgeführt. Sie hat zahlreiche alte Kochbücher studiert und fand dabei z.B. fast in jedem historischen Kochbuch Hinweise auf die Verwendung von Kohlrabiblättern. Vor 100 bis 150 Jahren war es anscheinend sehr üblich, die Kohlrabiblätter zu nutzen. Oft wurden sie in Salzwasser gekocht, manchmal zusammen mit den Kohlrabi, und dann mit einer Butter-Mehl-Sauce vermischt und serviert. Vielleicht ist dieses Wissen, dass man diese Gemüseteile verwenden kann, verloren gegangen oder vielleicht war auch einfach die Zubereitung nicht lecker genug.

Esther hat auch viel darüber recherchiert, wie und welche Gemüseteile in anderen Ländern und Kulturen zubereitet werden. Zum Beispiel sind Kürbistriebe und -blätter (nur von Speisekürbissen, nicht von Zierkürbissen) in Italien als „Tenerumi“ auf dem Markt erhältlich und gelten in Sizilien als übliches Gemüse. Auch in Bangladesch ist dieses Gemüse sehr verbreitet. Selbst bei der Wassermelonenschale oder der Rinde der Wassermelone fanden Esther und ich weltweit bekannte Köche, die bereits damit gekocht bzw. Rezepte gemacht haben.“

Gibt es auch Gemüsesorten, bei denen man nicht alles verwenden kann, weil es giftig oder ungenießbar ist?

Pascal: „Es gab sicherlich auch Teile, die mir nicht besonders gut gefallen haben, daher habe ich dafür auch keine Rezepte entwickelt. Zum Beispiel fand ich die Schale von Zuckermelonen (im Gegensatz zur Wassermelonenschale) nicht genießbar. Der Strunk des Grünkohls war so hart, dass mein Messer beim Schneiden kaputt ging. Wenn ich fürs Gemüse ein Beil in der Küche brauche, hört auch bei mir der Spaß auf. Die Blätter der Artischocke waren mir zu bitter. Beim Zubereiten der Kürbistriebe hatte ich mehrere Tage lang einen Ausschlag an den Händen, vermutlich aufgrund der stacheligen Härchen.

In Rezepten aus den USA wird oft erwähnt, dass mit angeknabberten Maiskolben „Corn Chowder“ zubereitet wird, aber ich hatte damit keinen Erfolg. Ich weiss nicht, ob die Maiskolben in den USA geschmacksintensiver sind. Oft spielt auch die Art der Zubereitung eine Rolle. Karottenkraut schmeckt roh und allein als Zutat nicht besonders gut. Es harmoniert jedoch sehr gut mit Gewürzen aus der arabischen Küche und süßen Zutaten oder wenn es frittiert wird.

Für die „Leaf to Root“-Küche ist es generell wichtig, dass das Gemüse aus biologischem Anbau stammt. Im Buch wird auch das Thema „Giftigkeit“ behandelt. Bei Gemüseteilen, von denen die Menschheit weltweit sagt, dass wir sie nicht essen, sollte man die Finger lassen. Beispielsweise die Blätter von Nachtschattengewächsen (wie Tomaten, Kartoffeln und Auberginen). Solanin und Tomatin gelten im Allgemeinen als giftig und kommen in hoher Konzentration vor allem in den „Second Cuts“ dieser Gemüsesorten, also beispielsweise in den Blättern, vor.“

Welche Pläne hast du noch für die nächsten Jahre? Wird es ein weiteres Kochbuch geben?

Pascal: „Momentan schaue ich gar nicht Jahre voraus. Nach einer längeren Auszeit bin ich nun wieder in verschiedene spannende Projekte involviert. Mein Ziel ist es, weiterhin Projekte anzugehen, die mir Freude bereiten, während ich auch darauf achte, genug Zeit für mich selbst zu haben.

Pascal Haag - Gastroschulung

Mein Fokus liegt nach wie vor stark auf der Gastronomie, insbesondere darauf, den weit verbreiteten Irrglauben in vielen Kochkreisen zu widerlegen, dass Gemüse langweilig sei. Ich möchte weiterhin daran arbeiten und zeigen, dass ein Gericht ohne tierische Produkte keine Kompromisse bei der Lebensqualität bedeutet, sondern neue kulinarische Genüsse ermöglicht.

Wenn es zeitlich passt, würde ich auch unglaublich gerne ein weiteres Kochbuchprojekt in Angriff nehmen. Ich bin derzeit aber erst noch in der Phase des Brainstormings und habe noch keine konkreten Pläne dafür festgelegt.“

Wir sind gespannt, was da alles noch kommen wird! Auf jeden Fall freuen wir uns schon jetzt auf den zweiten Teil deines Gewürzkurses – die Spices Masterclass Vol.2 (ab 2024)!


Die Spices Vol.1 Masterclass mit Pascal Haag

Mehr Geschmack gefällig? Gewürze sind mittlerweile buchstäblich in aller Munde. Kein Wunder! Bringen sie doch die köstlichsten und duftendsten Aromen in die eigenen vier Wände! Lerne wie du mehr Würze auf den Teller bringst und lass dich von Piment, Zimt, Schwarzkümmel und Co. begeistern.

Let’s spice up your food!

Hier geht es zum Kurs


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