Im Gespräch mit Köchin & Autorin Sophia Hoffmann
Wir sind super glücklich und stolz, dass wir Sophia Hoffmann als Köchin & Trainerin für die Vegan Masterclass gewinnen konnten und sie ihren Wissensschatz in ihrer „Zero Waste Masterclass“ mit uns teilt. Zero Waste liegt uns sehr am Herzen, denn es ist nicht einfach nur ein Trend, sondern ein wesentlicher Baustein um Themen wie Müll, Lebensmittelverschwendung und den Überkonsum von Gütern mit Lösungen und Ideen zu begegnen.
Zero Waste bedeutet zwar übersetzt „null Müll“, aber es soll dabei kein Wettbewerb entstehen wer es am besten umsetzt, sondern es geht viel mehr darum eine Fähigkeit wiederzubeleben, die viele schon verlernt haben: die Wertschätzung. Besonders Lebensmittel sollten wir wieder mehr wertschätzen. Gar nicht so einfach, wenn die Supermärkte brechend voll sind mit einer gigantischen Auswahl an Lebensmitteln, die aus aller Welt kommen und zu jeder Zeit verfügbar sind. Wenn man aber weiß, dass allein in Deutschland jedes Jahr 18 Mio. Tonnen Lebensmittel* im Müll landen, wovon 10 Mio. Tonnen aber vermeidbar wären, dann gibt das doch schwer zu denken.
Sophia, wie gewinnen wir die Wertschätzung von Lebensmitteln wieder zurück? Nicht jeder hat einen eigenen Garten und kann sehen wieviel Aufwand hinter Obst und Gemüse steckt.
Sophia: „Meine Philosophie ist es Wertschätzung durch Wissensvermittlung zu mehren. Ich glaube fest daran, dass „Wissen Macht ist“ und je mehr wir verstehen, was notwendig ist um beispielsweise „unser täglich Brot“ herzustellen, desto sorgfältiger gehen wir damit um und verschwenden es weniger leichtfertig. Dieses Wissen versuche ich in meiner Arbeit unterhaltsam zu vermitteln, sei es in der Masterclass oder auch in meinem Buch „Zero Waste Küche“, das ich ergänzend als Nachschlagwerk empfehle, es ist randvoll mit überraschenden Food Facts. Und wer die Möglichkeit hat, sich mal auf dem Feld die Hände schmutzig zu machen, z.B. bei einer Genossenschaft oder auf einem Ackerteil, sollte dies auch unbedingt ausprobieren.“
Das überraschende ist, dass von den oben erwähnten 10 Mio Tonnen, die vermeidbar wären, fast die Hälfte (4,9 Mio Tonnen) auf Endverbraucher*innen zurückzuführen sind. Das heißt das jede*r einzelne von uns die Chance hat, dazu beizutragen, dass ein wesentlicher Anteil an Lebensmittelverschwendung reduziert werden kann. Was sind deine 2 oder 3 Tipps, die jede*r einfach umsetzen kann und die dabei eine beachtliche Auswirkung haben?
Sophia: „Mein wichtigster Rat lautet: Weniger und dafür bewusster einkaufen und nicht den Überblick verlieren. Sprich lieber zwei gute Bio-Pfirsiche, und diese am gleichen Tag essen, als zum gleichen Preis eine Plastik-Box vom Discounter mit 6 Pfirsichen, von denen die Hälfte nie reif wird oder zu schimmeln beginnt. Lieber ein gutes Sauerteigbrot vom Bäcker statt billige Aufbackware, das ist bekömmlicher und hält auch viel länger. Zum Thema „Überblick“ empfehle ich ab und zu „Inventur“ in Gefrier-, Kühl- und Vorratsschrank zu machen und Listen zu schreiben, was noch alles verarbeitet werden kann. Auch Mealprep und bessere Planung kann Verschwendung verhindern.“
Sophia, du bist in einem Haushalt aufgewachsen, wo es total normal ist einfach alles, so gut es geht, aufzubrauchen. Da wird man sicher schon mal sehr kreativ, was man aus den Lebensmittelresten noch so alles machen kann. Hast du ein paar spannende Beispiele für uns?
Sophia: „Toll finde ich auch gepickelte Kräuterstängel, gerade die knackigen Stiele von Petersilie, Koriander und Dill lassen sich super fein hacken und in einem süßen Essig-Sud einlegen, ein tolles pikantes Topping und eine feine Würzzutat für Dips und Dressings wie Salsa Verde. Und mein Lieblingsbeispiel sind natürlich die „Brotlinge“, köstliche fleischlose Frikadellen, einfach auf der Basis von altem Brot.“
Perfektes Stichwort. Deine „Brotlinge“ sind eines von vielen Rezepten in der Zero Waste Masterclass. Du hast der Verwertung von altbackenem Brot ein ganzes Kapitel gewidmet. Woran liegt das?
Sophia: „Brot ist eines der ältesten, wichtigsten Grundnahrungsmittel weltweit, mit einer großen kulturgeschichtlichen Bedeutung. Als die Menschen sesshaft wurden, begannen sie Ackerbau zu betreiben, Getreide wurde zur wichtigsten Nahrungsgrundlage. In der Geschichte wurden mehr Kriege um Kornkammern geführt als um Gold. Missernten führen bis heute zu Hungersnöten und Not. Über die Bedeutung des Brotes kann man ganze Bücher lesen und doch ist es bei uns zu einem Wegwerfprodukt verkommen. Jede fünfte Backware (1,7 Millionen Tonnen) landet hierzulande im Müll. Das entspricht der Ernte eines Ackers größer als die Fläche von Mallorca. Diese Verschwendung zieht enorme ökologische Folgekosten nach sich. Supermärkte und Bäckereiketten bieten bis zum Abend volle Regale an. Die dort verkauften Produkte sind voll mit Backtriebmitteln, Zucker und Zusatzstoffen und haben mit „echtem Brot“ nur wenig zu tun. Meine Empfehlung: Je weniger Inhaltsstoffe, desto besser. Qualität statt Quantität. Echtes Sauerteigbrot hält am längsten, ist am gesündesten und am besten verdaulich. Wer Brot wertschätzt, schmeißt es nicht weg. Wer Brot als Werkstoff versteht, dem sind bei der Verwertung keine Grenzen gesetzt.“
Mit Zero Waste beschäftigst du dich schon viele Jahre und hast 2019 ein Buch darüber veröffentlicht. Da gab’s doch sicher auch vieles was du selbst neu entdeckt hast. Was waren deine größten Aha-Momente?
Sophia: „Ich wusste nicht, dass Gemüseblätter auch ernährungsphysiologisch so spannend sind, da sie oft noch mal ganz andere Nährstoffe enthalten, als das Gemüse selbst. Ich sehe sie mittlerweile als gleichwertigen Teil des Gemüses, den man gedünstet, im Salat, als Pesto, in der Suppe usw. verarbeiten kann. Verrückt, wenn man überlegt, wieviel davon täglich verschwendet wird. Zudem wusste ich nicht, dass Kartoffeln ein toller Vitamin C Lieferant sind, ja sogar die „Zitrone des Nordens“ genannt werden, und dass Zwiebeln für viele Menschen in Indien, die wichtigste Vitaminquelle darstellen, weil sie das billigste verfügbare Gemüse sind. Solche Informationen haben enorm zu meiner Wertschätzung beigetragen, ich lasse keine Zwiebel mehr in der Ecke verkümmern. Oder dass Bananen nach Äpfeln das zweitbeliebteste Obst Deutschlands sind, obwohl sie von so weit her importiert werden, leider oft unter ausbeuterischen Bedingungen, deshalb lautet meine Kaufempfehlung bei Bananen: Weniger, aber dafür fair gehandelt und bio. Lieber öfter mal einen regionale Apfel essen.“
Stichwort Containern: In Deutschland ist es verboten aus den Tonnen der Supermärkte Lebensmittel rauszufischen und mitzunehmen. In Frankreich dagegen ist es Supermärkten seit 2016 verboten Lebensmittel wegzuschmeißen. Stattdessen sollen sie an Tafeln und Organisationen gespendet werden. Klingt eigentlich richtig gut. Warum hängt Deutschland so weit hinterher?
Sophia: „Meines Erachtens ist die deutsche Politik hier leider sehr von Lobbyismus beeinflusst, allen voran die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner, die seit Jahren deshalb stark in der Kritik steht. Gesetzgebungen, die der Wirtschaft und den Unternehmen mehr Verantwortung abverlangen, werden seit Jahren bewusst blockiert. Die aktuell propagierte freiwillige Selbstkontrolle ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und völlig unzureichend. Wir tragen als Konsument*innen zwar Mitverantwortung für unseren Konsum und können im Kleinen etwas verändern, müssen aber als Wähler*innen auch unbedingt weiterhin ernstzunehmende Lösungen einfordern. Es ist ärgerlich.“
Food Sharing, Unverpackt-Läden, Biokisten – welche Entwicklung im Bereich Zero Waste gefällt dir am Besten, und wo ist noch Nachholbedarf?
Sophia: „Für mich sind das alles wichtige Puzzleteile, die alle ihre Wichtigkeit haben und dazu beitragen können, dass sich wirklich breitenwirksam etwas verändern kann. Ich bin selbst Genossin bei der veganen Gemüsegenossenschaft Plantage, da bin ich großer Fan und gerade das Thema Direktbezug/ Direktvermarktung hilft Landwirt/innen fairere Preise für regenerative Produktion erzielen zu können. In dem Kontext kann ich auch Citrusricus, Crowdfarming und Gebana empfehlen. Nachholbedarf besteht für mich noch beim Thema Plastikverpackung. Obwohl ich darauf achte, ist mein Plastikmüll noch viel zu voll, hier erwarte ich auch von konventionellen und Bio-Unternehmen noch mehr Mehrwertverpackungen und abbaubare Alternativmodelle und befürchte, dass sich das längerfristig nur mit Verpackungsverboten umsetzen lässt.“
Wenn heute „wünsch dir was Tag“ wäre, welche Gesetze oder Maßnahmen würdest du persönlich veranlassen um im Bereich Groß- und Einzelhandel und bei Produzent*innen einen Einfluss im Bereich der Lebensmittelverschwendung zu erzielen?
Sophia: „Ich sehe das ganzheitlich, gar nicht nur im Bezug auf Zero Waste, aber das ist klar eine Komponente: Ich wünsche mir einen langfristigen, realistischen „Exit-Plan“ für die Agrarwende, der konventionellen Landwirt*innen finanzielle Anreize für eine Umstrukturierung zu mehr Nachhaltigkeit bietet, anstatt den Status Quo „tot zu subventionieren“. Anreize für Erzeuger*innen, Gastronom*innen und Konsument*innen, der Anreize schafft: Sei es durch Subventionen oder Steuererleichterungen für Biozertifizierungen oder ganz banal Anreize schaffen für die eigene Müll-Minimierung: In Irland beispielsweise zahlt man seine Müllabfuhr-Kosten je nachdem wieviele Tüten es sind, das würde auch hierzulande Anreiz schaffen. Wir brauchen in einigen Bereichen Verbote, aber eben auch Belohnungen um positive Vorbilder zu schaffen.“
Hast du noch Tipps für Menschen, die auch außerhalb ihrer eigenen vier Wände aktiv werden wollen?
Sophia: „Es gibt tolle Vereine und Verbände, die Aktivismus- und Bildungsarbeit zum Thema leisten, bei denen man sich engagieren kann, wie Restlos Glücklich, Foodsharing, Zero Waste Deutschland, Zero Waste Austria, … „
Hand aufs Herz: welches Rezept aus deiner Masterclass ist dein persönlicher Favorit?
Sophia: „Ich würde ein herzhaftes und ein süßes Rezept nennen, obwohl es wirklich schwer ist das einzugrenzen: Die veganen „Kärntner Kasnudeln“ waren schon als Kind mein Lieblingsessen – seit ich meine vegane Variante entwickelt habe, kann ich sie wieder genießen, darüber bin ich sehr happy. Und ich liebe die „Schokoladen-Tarte mit Bröselboden“, die Kombi auf den herzhaften Bröseln und der cremigen Schokoschicht – himmlisch – und viel einfacher als es aussieht!“
Welche Pläne möchtest du 2021 gerne umsetzen, wo kann man dich live erleben?
Sophia: „Ich hoffe 2021 endlich mit meiner Geschäftspartnerin Nina Petersen unser Restaurant „Happa“ in Berlin zur Realität werden zu lassen. Durch Corona haben wir die Gründung aber noch einmal nach hinten geschoben. Mal sehen, wie sich die nächsten Monate entwickeln, sobald es realistisch ist, gehen wir auf Location-Suche. Im April erscheint zudem mein neues Buch, in dem es um intuitives Kochen geht, also eine Art Koch- und Sachbuch als Ergänzung zur „Zero Waste Küche“. Da Lesungen aktuell noch nicht live möglich sind, planen wir ein paar tolle Events online umzusetzen. Der Vorteil hier ist, dass viele Menschen von überall dabei sein können. Ich freu mich drauf und sobald es wieder analoge Events gibt, werde ich auf meiner Webseite www.sophiahoffmann.com darüber informieren.“
Gibt es noch etwas zum Thema „Zero Waste“ was dir sehr am Herzen liegt und du gerne noch loswerden möchtest?
Sophia: „Es geht nicht darum, dass eine kleine Elite „alles richtig macht“, sondern darum, dass möglichst viele Menschen ein paar Sachen anders machen. So beginnt Veränderung, so können wir etwas bewegen.“
Ein wundervoller Abschlusssatz. Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Mehr zur Zero Waste Küche
Was macht man mit altbackenem Brot? Kann man den Strunk vom Brokkoli verwerten? Sind Schalenreste auch noch für etwas gut? Diese und viele weitere Fragen klärt Sophia Hoffmann in ihrer Zero Waste Masterclass. Außerdem gibt sie Einblick in ihre Philosophie der Lebensmittelverwertung und gibt Tipps an die Hand wie man aus müdem Obst und Gemüse noch tolle Gerichte zaubern kann.
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Wie bewusst ist dir das Thema Zero Waste? Achtest du schon darauf, möglichst wenige Lebensmittel wegzuschmeißen? Wo liegen deine Herausforderungen und was setzt du bereits um? Wir sind gespannt auf deine Tipps!
*Quelle:
WWF Studie https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Studie_Das_grosse_Wegschmeissen.pdf